Klappentext
Ich heiße Amber Reynolds. Drei Dinge sollten Sie über mich wissen:
1. Ich liege im Koma.
2. Mein Mann liebt mich nicht mehr.
3. Manchmal lüge ich.
Meine Meinung
Dieser Klappentext hat mich neugierig gemacht. Vor allem die letzte Aussage lädt uns dazu ein, uns zu fragen, in welcher Hinsicht Amber Reynolds ihre Mitmenschen anlügt. Welchen ihrer Aussagen können wir trauen? Welchen nicht? Diese Fragen stellte ich mir beim Lesen des Buches immer wieder, und die Auflösung hat mich ziemlich unerwartet getroffen.
Hauptperson ist die Ich-Erzählerin Amber Reynolds, die nach einem schweren Autounfall am zweiten Weihnachtstag im Krankenhaus aufwacht und feststellt, dass sie im Koma liegt. Sie kann sich nicht bewegen, ist aber bei Bewusstsein und hört alles, was um sie herum geschieht. Sie ist zunächst verwirrt und kann sich an den genauen Unfallhergang und die Stunden davor nicht erinnern. Im Laufe der nächsten Tage erleben wir an ihrer Seite, wie ihre Erinnerungen zurückkehren und wie auch die aktuellen Geschehnisse Interessantes erwarten lassen.
Eine weitere Ebene erhält die Handlung durch Tagebuchaufzeichnungen, die alle paar Kapitel das Verhältnis zwischen Amber und ihrer Schwester Claire während ihrer Schulzeit beschreiben. In ihnen erfahren wir unter anderem, dass sie keine leiblichen Schwestern sind, sondern ursprünglich aus unterschiedlichen Familien stammen.
Was mich neben dem Klappentext sofort für das Buch eingenommen hat, ist der klare, manchmal sogar poetische Schreibstil. Er ermöglichte es mir, tief in die Geschichte einzutauchen, obwohl sich die Spannung am Anfang eher subtil aufbaut. Um deutlich zu machen, was ich mit dem Stil meine, gebe ich hier den ersten Absatz des Buches wieder:
Ich habe den freien Fall zwischen Schlaf und Aufwachen immer gemacht. Die halbbewussten Sekunden vor dem Öffnen der Augen, in denen Träume Wirklichkeit sein könnten. Ein Moment größter Freude oder großen Leids bevor die Sinne neu starten und einem sagen, wer und wo und was man ist. Noch eine Sekunde länger genieße ich die ersehnte Selbsttäuschung, die mich glauben lässt, ich könnte eine andere sein, könnte überall sein, könnte geliebt sein.
In diesen wenigen Zeilen wird Vieles angedeutet, das später eine Rolle spielen wird und dem wir uns zunächst dadurch annähern, dass Amber die Gespräche der Personen belauscht, die sie besuchen. Das sind vor allem Familienmitglieder: ihr Mann, ihre Schwester und deren Familie und ihre Eltern, wobei klar wird, dass deren Beziehungen untereinander komplex und spannungsgeladen sind.
Es ist der Erzählkunst von Alice Feeney zu verdanken, dass ich der Hauptfigur immer gefolgt bin, obwohl Amber Reynold nicht in jeder Hinsicht sympathisch rüberkommt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass für mich die Fragen im Vordergrund standen, wie es zu dem Unfall kam und worum es in der Geschichte eigentlich geht. Außerdem gelingt es Feeney, eine Atmosphäre der Bedrohung aufzubauen, die sich für Amber, die ja hilflos im Krankenhaus liegt, als ganz real erweisen wird.
Auch über die Plot-Twists am Ende schweige ich natürlich, um euch nicht die Spannung zu nehmen. Mir hat es Spaß gemacht, herumzurätseln, wie die Dinge zusammenhängen, und ich habe dabei viele Theorien aufgestellt und verworfen. Mir hat es gut gefallen, dass die Plot-Twists nicht an den Haaren herbeigezogen waren, wie es im Thriller-Genre nicht selten geschieht. Vielmehr waren sie plausibel und hätten sich aus den gegebenen Vorinformationen durchaus erschließen können.
Schreibt mir doch, ob es euch schon früh gelungen ist, die Puzzleteile richtig zusammenzusetzen. Ich war jedenfalls bis kurz vor Schluss ahnungslos, wie sich die Geschichte auflöst, und im letzten Drittel des Buches war es eine echte Herausforderung, meine falschen Vorstellungen wieder umzuordnen.
Fazit
Die abgründige Heldin und eine komplexe Erzählstruktur sorgen für überraschende, aber plausible Wendungen, die wohl die wenigsten vorausgesehen haben. Ein unbedingt lesenswerter Psychothriller!