Stefan Heiligtag

Angela Ziehr: Lucille – plötzlich Aschenputtel

Witzig-ironische Wandlung einer oberflächlichen Partymaus zu jemandem, der erkennt, was ihr wichtig im Leben ist

Klappentext

Lucille führt dank dem Geld ihres Vaters ein Leben wie im Märchen: Mit Anfang zwanzig lebt sie in einer Luxusvilla, fährt einen Maserati, liebt Shoppingtouren und Partys, wenn sie nicht gerade am Pool einen Cocktail genießt. Von Arbeit hält sie wenig, auch ihr Studium hat sie längst abgeschrieben.
Als sie vom Gericht zu Sozialstunden in einem Tierheim verdonnert wird, bricht für Lucille eine Welt zusammen. Kurz darauf setzt sie auch noch ihr Vater vor die Tür und dreht ihr den Geldhahn zu. Sie findet sich plötzlich in einer schäbigen Zweizimmerwohnung wieder – pleite und ohne Perspektive. Da sie in ihrem Leben noch nicht mal ein Ei selbst gekocht hat, ist Lucille vollkommen überfordert. Der einzige Lichtblick ist ein attraktiver Nachbar, der ihr hilft, die schlimmsten Katastrophen zu verhindern.

Meine Meinung

Das furchtbare Cover lässt eine oberflächlicher Geschichte erwarten und hätte mich fast vom Lesen des Romans abgehalten. Der witzige Ton, den die Protagonistin und Ich-Erzählerin Lucille von Beginn an anschlägt, hat mich  aber bei der Stange gehalten, und ich wurde angenehm überrascht. 

Hier ist ein Ausschnitt aus dem ersten Kapitel am Tag nach Lucilles Verurteilung zu zweihundert Sozialstunden.

»Wie war denn deine Verhandlung?«, erkundigte sich mein Vater beim Frühstück.

Ich wich seinem Blick aus und fixierte stattdessen den Teller vor mir.

»Das weißt du doch«, murmelte ich. »Dieser Anwalt hat dir doch bestimmt schon alles erzählt.«

Unter gesenkten Lidern spähte ich zu meinem Vater hinüber. Er wirkte nicht gerade so, als empfände er Mitgefühl für seine Tochter. Im Gegenteil, er kam mir erstaunlich gutgelaunt vor, wie er sich schwungvoll die Serviette auf den Schoß legte und den Butler zu sich winkte.

»Die Morgenzeitung, Herr Maxdorfer.«

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen griff der Hausherr nach der Zeitung, die unser Diener sauber gefaltet auf einem glänzenden Tablett präsentierte.

»Danke Cornelius. Dann sehen wir doch mal, was es Neues gibt.«

Ich sank noch tiefer in meinen Stuhl. Es war der blanke Hohn, wie sich mein Vater über meine Verurteilung amüsierte. … Dabei fühlte ich mich keineswegs schuldig, ich war vielmehr wütend über die kleinkarierten Vorschriften in diesem Land. Was hatte ich denn groß verbrochen?

»Ah, auf Seite drei«, hörte ich meinen Vater hinter der Zeitung. »Lucie Maxdorfer, die 23jährige Tochter des bekannten Unternehmers … und so weiter und so weiter … hat s wieder mal in die Schlagzeilen geschafft. Bisher ist sie hauptsächlich als Starlet aufgefallen, die sich nicht zu schade ist, mit mehr oder weniger Prominenten in anzüglichen Posen vor der Kamera zu posieren.«

Schon der erste Satz des Artikels brachte meine Kiefermuskeln in Spannung. Lucia – diesen Namen hatte ich noch nie gemocht und ihn stattdessen vor einigen Jahren in Lucille umgeändert.

Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass sich Lucille mit der Polizei eine wilder Verfolgungsjagt durch Berlin lieferte, was nicht zum ersten Mal vorkam. Lucille will das alles nicht hören, sondern findet vielmehr, dass der Journalist übertreibt und der Richter engstirnig ist, sie zu zweihundert Sozialstunden in einem Tierheim zu verurteilen; schließlich hat sie niemandem geschadet.

Es hat mir gut gefallen, dass in dieser Anfangsszene auch zum Ausdruck kommt, dass Vater und Tochter sich ganz und gar nicht gleichgültig sind. Bei Lucille ist es nicht offensichtlich, aber im weiteren Verlauf des Romans wird deutlich, wie sehr sie ihren Vater respektiert, obwohl ihr oft nicht gefällt, was er sagt. Als er sie aus ihrer Villa hinauswirft und ihre Kreditkarten sperrt, weil sie die Sozialstunden umgehen will, hasst sie ihn zwar, aber ihre tiefe Bindung kann das nicht erschüttern.

Nun muss sie mit einem Minimum an Geld in einer heruntergekommenen Wohnung leben, in der braunes Wasser aus der Leitung kommt. Das neue Leben, das Lucille führen muss, führt zu vielen witzigen Culture Clash-Situationen: zum Beispiel, wenn sie die Hundekäfige  im Tierheim saubermachen muss. Das Leben wäre eine einzige Qual wäre da nicht ihr attraktiver Nachbar Alex, der ihr in der Anfangszeit einige Male unter die Arme greift. Ihre Begegnungen sprühen vor Wortwitz, und auch hier treffen zwei Welten aufeinander. Als er Lucille zu einem Lagerfeuer einlädt, kleidet sie sich wie für eine Dinnerparty, woraufhin sie die anderen Anwesenden mit offenen Mündern anstarren.

Über die Story will ich nur noch sagen, dass Alex ein Geheimnis mit sich herumträgt, was der Geschichte ein paar Krimi-Elemente hinzufügt. Entscheidend ist jedoch Lucilles charakterliche Wandlung, die für mich glaubwürdig zum Ausdruck kam.

Fazit

Eine keineswegs oberflächliche Geschichte über eine Partymaus, die beginnt, sich für die Dinge einzusetzen, die ihr wichtig sind.

                                      5 von 7 Punkten.

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