Klappentext
Sloane, Ardie, Grace und Rosalita leiden seit Jahren unter ihrem Vorgesetzten Ames. Zu seinem Verhalten Frauen gegenüber gab es schon immer Gerüchte. Gerüchte, die die Firmenleitung stets ignorierte oder unter den Teppich kehrte. Aber jetzt soll Ames zum Geschäftsführer befördert werden. Allerdings haben die Zeiten sich geändert, und genug ist genug. Die vier Frauen wissen: Sie müssen Ames‘ Aufstieg unbedingt verhindern. Und wenn ihre Worte wie üblich nicht gehört werden, dann müssen sie eben handeln …
Meine Meinung
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen vier arbeitende Frauen mit Kindern. Sie arbeiten bei Truviv, einem großen Sportbekleidungshersteller. Sloane, Ardie, Grace und Rosalita leiden in stark unterschiedlichen Graden unter der sexuellen „Whisper Network“ behandelt ein wichtiges und aktuelles Thema, was sicher ein Grund für den Hype ist, der um das Buch gemacht wird. In der Geschichte ist Whisper Network eine Liste, auf der Frauen, die einmal diskriminiert wurden, den Namen des Mannes eintragen können, von dem der Übergriff ausging. Sloane überlegt, ob sie Ames’ Namen darauf eintragen soll.
Um es gleich vorweg zu sagen: Im Zentrum des Buches stehen gut verdienende Frauen, die in einer renommierten Firma mit sexueller Belästigung zu tun haben. Sloane, Ardie und Grace (drei der vier Erzählstimmen) haben hochdosierte Jobs in der Rechtsabteilung von Truviv. Sie sind befreundet, vor allem Ardie und Sloane, die sich lange kennen. Im Laufe des Romans wird uns deren private und berufliche Situation detailliert vor Augen geführt.
Sloane hatte vor zwölf Jahren eine Affäre mit Ames. Sie beendete sie ein paar Monate später und bekommt dies seitdem immer mal wieder durch herablassende Bemerkungen zu spüren. Manchmal ‚vergisst‘ Ames, der ihr Vorgesetzter ist, ihre Leistungen zu honorieren. Ardies Geschichte mit Ames kommt erst spät im Buch zur Sprache, weshalb ich hier nicht spoilern will, aber klar ist, dass sich die beiden gegenseitig verachten. Grace, die zehn Jahre jünger als ihre Freundinnen ist, kennt Ames kaum, aber sie weiß von Sloane und Ardie, wie schlimm er sich verhalten kann. Sie hat ein anderes Problem, denn sie kommt nicht damit klar, dass sie ihr neugeborenes Kind nicht leiden kann, das sie nächtelang wachhält und sie im wahrsten Sinne des Wortes aussaugt.
Rosalie hat die vierte Erzählstimme. Im Gegensatz zu den anderen dreien arbeitet sie seit vielen Jahren als Putzfrau bei Truviv. Sie ist alleinerziehende Mutter und hat sich insofern etwas mit Ardie angefreundet, weil die ihr manchmal hilft, Anträge auszufüllen, die ihren Sohn betreffen. Dieses Verhältnis wird von Chandler Baker einfühlsam und vor allem aus Rosalies Sicht geschildert, die sich des Klassenunterschiedes zwischen ihr und Ardie bewusst ist.
Eine große Stärke von Whisper Network sind die vielen detaillierten Beschreibungen von auch ‚kleinerer’ Diskriminierungen, die gut veranschaulichen, wie sich alltägliche sexuelle und frauenfeindliche Übergriffe in Behörden und Unternehmen abspielen können.
Die Handlung kommt durch zwei Faktoren ins Rollen: einmal durch den plötzlichen Tod des ‚alten‘ CEOs und die Gerüchte, dass Ames dessen Nachfolger werden soll. Und zweitens durch die junge Katharine, die Ames angeworben hat und um die er sich auffällig ‚kümmert‘. Sloane, Ardie, und Grace beschließen, Katharine so gut es geht, vor ihm zu beschützen und reichen schließlich eine Klage wegen sexueller Übergriffe gegen Ames ein. Damit wollen sie verhindern, dass er CEO wird.
Es ist sicher ein geschickter Schachzug von Chandler Baker, schon früh Auszüge aus Verhörprotokollen abzudrucken, in denen den Mitarbeitern von Ames Fragen im Hinblick auf seinen Sturz aus dem 18. Stock des Truviv-Gebäudes gestellt werden. In diesen Verhörprotokollen wird deutlich, dass ma Sloane verdächtigt, den Selbstmord durch ihre Klage verursacht zu haben, wobei auch die Möglichkeit eines Mordes nicht ausgeschlossen wird. Trotz dieses Kniffs hat für mich die Spannung in der Mitte des Buches deutlich abgenommen, und ich fragte mich, wohin die Autorin ihre Leserinnen führen will.
Das hat auch, aber nicht nur mit einem stilistischen Mittel zu tun, bei dem die Autorin aus der Wir-Perspektive erzählt. Viele Kapitel werden damit eingeleitet, welche (zusätzlichen) Anforderungen Frauen und Mütter im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen erfüllen müssen. Das ist durchaus erhellend und wird auch oft pointiert, sarkastisch und manchmal verbittert dargelegt; trotzdem bin ich zwiespältig, was diese Passagen angeht. Sie gehen oft über mehrere Seiten und am Ende des Buches wiederholen sie sich. Sie haben etwas von einem Pamphlet, was eher in ein Sachbuch passt. Mir wäre es lieber gewesen, wenn der Inhalt dieser Passagen aus der Sicht der Protagonistinnen geäußert worden wäre.
Gut gefallen hat mir wiederum, dass die Persönlichkeiten der Protagonistinnen differenziert und überhaupt nicht idealisiert geschildert werden. Ich konnte mich wunderbar in ihren Alltag zwischen Kind, Mann, Beruf und sonstigen Aktivitäten einfühlen (Sloane lässt sich zum Beispiel von einer Fitnesstrainerin quälen, die sie fithält). Baker vermeidet es auch, alle Männer als böse und die Frauen als gut zu schildern. Manche verhalten sich sogar ausgesprochen niederträchtig, wie Sloanes ehemalige Kollegin, die Truviv vertritt und mit allen Bandagen kämpft, um zu gewinnen.
Das Ende ist im Gegensatz zum Mittelteil spannend. Hat Ames sich umgebracht oder wurde er ermordet? Und wenn letzteres der Fall ist, wer war der Täter oder die Täterin? Die Frage, wie wir mit der alltäglichen Diskriminierung umgehen sollen, wird nicht mehr explizit aufgegriffen, sondern allenfalls implizit. Wobei das vielleicht kein Nachteil ist, weil es keine einfachen Lösungen im Umgang mit sexueller Belästigung gibt.
Fazit
Ein überaus lesenswertes Buch, das uns einen detaillierten Einblick in die Situation gut verdienender Mütter gibt, die von sexueller Belästigung betroffen sind. Es ist auch ein Krimi, bei dem es um die Frage geht, ob Ames sich umgebracht hat oder ermordet wurde.