Stefan Heiligtag

Daniel Glattauer – Gut gegen Nordwind

Ein mehr als ungewöhnlicher Liebesroman!

Klappentext

Emmi Rothner möchte per E-Mail ihr Abo der Zeitschrift „Like“ kündigen, doch durch einen Tippfehler landen ihre Nachrichten bei Leo Leike. Als Emmi wieder und wieder E-Mails an die falsche Adresse schickt, klärt Leo sie über den Fehler auf. Es beginnt ein außergewöhnlicher Briefwechsel, wie man ihn nur mit einem Unbekannten führen kann. Auf einem schmalen Grat zwischen totaler Fremdheit und unverbindlicher Intimität kommen sich die beiden immer näher – bis sie sich der unausweichlichen Frage stellen müssen: Werden die gesendeten, empfangenen und gespeicherten Liebesgefühle einer Begegnung standhalten? Und was, wenn ja?

 

Meine Meinung

Dieses dünne Büchlein ist ein Liebesroman, bei dem die beiden Protagonisten ausschließlich per E-Mail miteinander kommunizieren. Ist das langweilig? – Erstaunlicherweise gar nicht, und es ist der außerordentlichen schriftstellerischen Leistung von Daniel Glattauer zu verdanken, dass uns die beiden Hauptfiguren trotzdem ans Herz wachsen.

Beide besitzen Esprit, beide sind schlagfertig, und beide kommen sympathisch rüber. Wie sie sich zunächst über ein Missverständnis kennenlernen, wie sie sich später über ihren Humor und die Art und Weise, wie sie sich ausdrücken näherkommen, ist gut nachvollziehbar, denn ihnen von E-Mail zu E-Mail zu folgen, ist, wie einem wunderbaren Paar beim Tanzen zuzuschauen. Beide genießen den intellektuellen Austausch miteinander, und Emmi sagt ganz offen, dass ihr etwas fehlt, wenn Leo ihr nicht antwortet.

Nach und nach erfahren wir mehr über die Situation der beiden. Leo Leike beschäftigt sich professionell mit Sprache, was auch einer der Anknüpfungspunkte ist, über den sie ins Gespräch kommen. Emmi Rothner erstellt unter anderem Homepages, aber im Gegensatz zu Leo ist sie verheiratet und hat Kinder.

Es ist ein Verdienst des Autors, dass er dem Buch ein Thema unterlegt, das über die beiden Protagonisten hinausgeht. Nämlich die Frage nach der virtuellen Identität und der, wie Leo es einmal formuliert „verschwommenen kleinen Insel“, auf der sich die beiden austauschen. Beide wissen nicht, wie die jeweils andere Person aussieht. Beide haben nur rudimentäre Informationen übereinander, und beide wissen das.

Die Frage, wer wir online sind, hat in den letzten Jahren nicht nur in der Diskussion um Fake News an Aktualität gewonnen. Theoretisch könnte man ein Lügengebäude um sich herum aufbauen. Das wollen weder Emmi noch Leo. Deshalb äußern sie sich klar und authentisch, aber selbst das bewahrt sie nicht davor, Bilder vom anderen zu entwerfen. Die Person, mit der sie sich so gerne unterhalten, ist letztlich eine Vorstellung. Beide genießen diesen Austausch, werden regelrecht süchtig danach, was zu der Frage führt, was sie damit anfangen sollen. Es ist Leo, der als erster den Wert einer „Beziehung“ hinterfragt, bei dem beide Seiten wissen, dass sie sich in der realen Welt niemals sehen werden.

Auch auf die Gefahr hin, zu spoilern, will ich verraten, dass Emmi und Leo Aktionen in der realen Welt vereinbaren und diese hinterher ausführlich diskutieren werden. Ich verrate sicherlich auch nicht zu viel, dass ihr gegenseitiges Interesse aneinander stetig zunimmt und zumindest Emmi, die in einer Beziehung lebt, in einen Gewissenskonflikt stürzt. Das Ende ist in jedem Fall eine Überraschung.

Diejenigen von euch, die „Gut gegen Nordwind“ ebenso gerne gelesen haben wie ich, werden sicher auch das Nachfolgebuch lesen, in dem die Geschichte von Leo und Emmi weitergeht.

 

Fazit

Eine Liebesgeschichte mit Esprit, die sich mit den Vorstellungen auseinandersetzt, die wir bei anderen auslösen, wenn wir ihnen ausschließlich online begegnen. Eine klare Leseempfehlung!

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