Klappentext
Im Nationalpark Mercantour in den französischen Seealpen ist die Natur wild und ungezähmt, genau wie die Wölfe, die hier in Freiheit leben. Das gefällt nicht allen. Als nachts immer mehr Schafe gerissen werden, rebellieren die Landwirte – und bald kursiert ein gruseliges Gerücht. Sind die Schafe nicht einem Raubtier, sondern dem sagenumwobenen Wolfsmenschen zum Opfer gefallen? Dann findet man die Bäuerin Suzanne grausam ermordet im Schafgehege und Aberglaube wird zu Panik. Zusammen mit Suzannes Sohn sucht die Dorfbewohnerin Camille auf eigene Faust nach dem Schuldigen. Doch der scheint immer einen Schritt voraus und so entschließt sich Camille schweren Herzens, einen Mann aus ihrer Vergangenheit um Hilfe zu bitten: Kommissar Adamsberg, den verschrobenen und doch genialen Ermittler, der seine ganz eigenen Theorien zum Monster von Mercantour hat …
Meine Meinung
Mich hat dieser Roman von Fred Vargas vor allem deshalb angesprochen, weil es kein normaler Krimi ist. Er hat etwas von einem Road Movie – oder „Rod-Muwie“, wie es der junge Sohn der ermordeten Schafbäuerin nennt.
Im Zentrum der Handlung steht die junge Camille, die sich in die französischen Seealpen zurückzog, weil sie keine Freude mehr am Erfinden von Fernsehserien hat und lieber handwerklich arbeitet. Sie ist mit der ermordeten Bäuerin Suzanne Rosselin befreundet, die mit zerrissener Kehle in ihrem Stall aufgefunden wird. Sie will ihren Tod aufklären, obwohl die Dorfbewohner sicher sind, dass sie von dem Wolf angefallen wurde, der viele Schafe in der Gegend gerissen hat. Begleitet von Suzannes schwarzafrikanischem Adoptivsohn Soliman und ihrem alten Schäfer, dem „Wacher“, der seiner Arbeitgeberin viel zu verdanken hat, macht sich Camille auf den Weg, um weitere Morde zu verhindern.
Denn die Polizei hat in der Wohnung eines Verdächtigen eine Landkarte gefunden, auf der ein Weg eingezeichnet ist. Als weitere Menschen genau auf dieser Route auf bestialische Weise umgebracht werden, gelangen Camille und ihre Mitstreiter zu der Ansicht, dass der Besitzer der Karte sich eines gezähmten Wolfes bedient, um die Morde zu begehen. Ihr Verdächtiger heißt Monsieur Massart.
Mir hat es außerordentlich gut gefallen, wie sich die drei Reisenden, die überaus unterschiedliche Charaktere haben, auf ihrer Reise zusammenraufen. Dabei kommt es immer wieder zu skurrilen, witzigen Situationen zwischen Camille, die für sich existenzielle Fragen beantworten muss, dem naiven Soliman und dem düsteren, wortkargen Wacher. Sie machen einen Großteil des Lesevergnügens aus.
Im Hinblick auf ihr eigentliches Ziel sind die drei jedoch weniger erfolgreich. Es geschehen weitere Morde, und sie kommen immer zu spät, weshalb sich Camille dazu entschließt, ihren ehemaligen Geliebten Kommissar Adamsberg zu bitten, ihr zu helfen.
Mich hat es nicht gestört, dass der Kommissar vergleichsweise spät in die Handlung eingreift. Er tut dies sowohl im Hinblick auf die Lösung des Falls als auch im Hinblick auf Camille, die zwischen ihrem Freund und Adamsberg hin- und hergerissen ist. Ich finde es hinreißend, wie zart und einfühlsam Vargas diese komplexen Beziehungen beschreibt; ich habe es ebenso gerne gelesen, wie die witzigen Dialoge zwischen den Mitgliedern des Road-Movie-Teams.
Zur weiteren Handlung will ich nur so viel sagen, dass die Lösung des Falls für die meisten LeserInnen überraschend sein dürfte. Adamsberg Vorgehen ist wie immer, überaus intuitiv, was Vargas wunderbar darzustellen weiß:
„So suchte Adamsberg Ideen: er wartete ganz einfach auf sie. Wenn eine von ihnen vor seinen Augen auftauchte wie ein toter Fisch, der an die Wasseroberfläche steigt, dann sammelte er sie ein und untersuchte sie, um zu sehen, ob es sich um etwas Brauchbares handelte, das für ihn von Interesse war. Adamsberg dachte nie nach, er begnügte sich damit, zu träumen und dann die Ernte zu sichten, so wie jene Fischer mit ihren Fangnetzen, die mit schwerer Hand auf dem Grund ihres Netzes inmitten von Steinen, Algen, Muschelschalen und Sand nach der Garnele suchen. Es gab nicht wenig Steine und Algen in Adamsbergs Gedanken, und es kam nicht selten vor, dass er sich darin nicht zurechtfand. Er musste viel wegwerfen, viel aussortieren. Ihm war bewusst, dass sein Geist ihm eine wirre Zusammenballung verschiedenster Gedanken vorsetzte und dass das nicht unbedingt bei allen anderen Menschen genauso funktionierte.“
Fazit
Wer – wie ich – dem klassischen Krimi mit Kommissar und Polizeiarbeit wenig zugetan ist, mag Gefallen an diesem ungewöhnlichen Road Movie-Krimi finden, der von seinen skurrilen Figuren und den komplexen Beziehungen lebt, die zwischen ihnen herrschen. Auch die Aufklärung des Falls hat mich überzeugt.