Stefan Heiligtag

Jennifer Armentrout – Dreh dich nicht um

Ein exzellent geschriebener, spannender Thriller, in dem wir die Zweifel und die Verzweiflung der 17jährigen Protagonistin jederzeit mitempfinden.

Klappentext

Samantha ist schön. Sie ist mit dem coolsten Jungen der ganzen Schule zusammen. Sie hat alles, wovon die anderen Mädchen träumen. Dann verschwindet sie für vier Tage. Als sie wieder auftaucht, ist nichts mehr, wie es einmal war: Sie hat ihr Gedächtnis verloren. Und ihre beste Freundin Cassie wird vermisst. Ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Und trägt Samantha etwa die Schuld daran?
Samantha bleibt nur wenig Zeit, ihre Erinnerungen zurückzugewinnen. Denn jemand hat es auf sie abgesehen. Jemand, der genau weiß, was passiert ist …

Meine Meinung

Gedächtnisverlust ist immer ein guter Aufhänger für eine spannende Thriller-Handlung, und die ist Jennifer Armentrout definitiv gelungen. Vor allem hat mich das Buch aber deshalb überzeugt, weil es der Autorin durchweg fantastisch gelingt, uns die innere Zerrissenheit und die Zweifel der 17jährigen Samantha mitfühlen zu lassen. Sam muss nicht nur damit klarkommen, dass sie das Gedächtnis verloren hat, sondern auch, dass ihre beste Freundin (an die sie sich nicht erinnert) verschwunden ist und dass sie, Samantha, offensichtlich eine garstige, grausame Zicke gewesen ist.

Um zu verdeutlichen, was ich damit meine, gebe euch ein Beispiel ziemlich am Anfang des Romans, nachdem Sam von ihren Eltern nach Hause gebracht worden ist und sich mit ihrem Bruder Scott unterhält. Der sagt, er habe eine Theorie, was mit ihrer verschwundenen Freundin Cassie los ist.

Scott lümmelte sich auf mein Bett. »Scheiße, wahrscheinlich hast du sie umgebracht und irgendwo verscharrt.« Er lachte. »Das ist meine Theorie im Großen und Ganzen.«

Ich wurde blass und schnappte nach Luft.

Ihm verging das Lächeln. »Sam, Mensch, das war doch nur Spaß.«

»Oh.« Erleichtert ließ ich mich auf der Bettkante nieder und starrte auf meine abgebrochenen Fingernägel. Und mit einem Mal wurde wieder alles grau und weiß. Die einzige Farbe war Rot – ein vibrierendes, grelles Rot unter meinen Fingernägeln. Leises Schluchzen – jemand weinte.

Scott packte mich am Arm. »He, alles in Ordnung?«

Ich blinzelte, und die Bilder und die Geräusche verschwanden. Ich schob die Hände unter die Oberschenkel und nickte. »Ja, alles okay.«

Er richtete sich auf. »Heilige Scheiße, du ziehst hier wirklich keine Show ab.«

»Welche Show?«

»Diese ganze Gedächtnisverlust-Geschichte – ich hätte schwören können, ihr wart irgendwo beim Feiern, habt euch tagelang volllaufen lassen und konntet erst wieder nach Hause, nachdem ihr einigermaßen ausgenüchtert wart.«

Verdammt. »Habe ich das oft gemacht?«

Scott stieß ein lautes Lachen aus. »Ja … komisch. Du täuschst definitiv nichts vor.«

Jetzt war ich noch mehr verwirrt. »Woher willst du das wissen?«

»Na ja, zum einen hast du mich noch nicht rausgeworfen oder mir angedroht, mein Leben zu zerstören.«

»Das mache ich?«

Diese Stelle ist nur eine von vielen, in denen die Autorin uns das Innenleben der Ich-Erzählerin nahebringt und weshalb ich das Buch durchweg klasse fand. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich Jennifer Armentrout den krassen (und in meinen Augen völlig unglaubwürdigen) Persönlichkeitswechsel, den Samantha nach ihrem Gedächtnisverlust durchmacht, gerne nachsehe. Gleiches gilt für die vielen Klischees, mit denen das Buch durchsetzt ist. Zu nennen sind hier Sams „Freundinnen“, die Bitches sind, wie wir sie aus vielen Highschool-Komödien kennen. Dasselbe gilt für ihre Eltern und die Eltern ihrer Freundinnen, die durchgängig nur Wert auf die äußere Fassade legen. Und ja, das gilt auch für den Jungen, in den Samantha sich verliebt: Carson. Er ist in jeder Hinsicht perfekt, was sehr romantisch veranlagte Menschen freuen wird, mir aber einen Tacken zu viel war.

Andererseits erhöhen die Klischees und die Fallhöhe zwischen „Samantha früher“ und „Samantha heute“ natürlich das Lesevergnügen, weil Freundinnen und Eltern Sam viel Gelegenheit geben, zu wachsen und ihnen ihr (neue) Meinung zu sagen. Und wir freuen uns mit ihr, wenn sie die Größe aufbringt, sich für ihr früheres, ätzendes Verhalten bei denjenigen zu entschuldigen, die sie schikaniert hat. Zu ihnen gehört auch Carson. Er hilft ihr, herauszufinden, was mit ihrer Freundin passiert ist.

Der Plot ist durchweg spannend und meistens (ich komme noch darauf zurück) in sich schlüssig, und er lebt davon, dass sich weder die Hauptfigur noch die Leser sicher sein können, ob Samanthas Erinnerungen eingebildet oder echt  sind – und wie sie zu interpretieren sind.

Es ist schade, dass der spannende Plot an zwei Stellen völlig unplausibel ist, obwohl die Autorin dies leicht hätte verändern können. Der erste Punkt betrifft die Tatsache, dass Samantha erst nach vier Tagen wieder auftaucht, was mindestens drei Tage zu lang ist. Wenn man die Auflösung kennt, weiß man, dass das kaum bis unmöglich ist. Der zweite Punkt betrifft das Finale. Zum Schluss will der Mörder noch zwei weitere Menschen umbringen, um seine Tat zu vertuschen, obwohl das zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr möglich war. Schade. Ich vermute, dass  Jennifer Armentrout dem Finale dadurch mehr Spannung verleihen wollte, aber das hätte es nicht nötig gehabt. Die Geschichte war, was selten genug bei Thrillern der Fall ist, in sich schlüssig und spannend – aus meiner Sicht bedurfte es keines weiteren Mordversuchs.

Fazit

Ein exzellent geschriebener, spannender Thriller, dessen Heldin einen enormen Wachstumsprozess durchmacht und in der auch die Liebe eine große Rolle spielt. Ich habe die Geschichte von vorne bis hinten genossen.

                                                    5/6 von 7 Punkten

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