Klappentext
Noch heute ist Charlie Quinn wie zerfressen von den Erinnerungen an jene grauenvolle Nacht. Ihre Mutter musste sterben. Ihr Vater, der umstrittene Anwalt, verteidigt lieber die brutalsten Verbrecher der Stadt, als seinen Töchtern eine Stütze zu sein. Immer auf der Suche nach Gerechtigkeit ergreift die erwachsene Charlie selbst den Beruf der Anwältin und findet sich bald selbst in einem Albtraum wieder. Denn als ein Amoklauf die ganze Stadt traumatisiert, ist sie die erste am Tatort – in einem Fall, der heraufbeschwört, was sie so dringend vergessen will.
Meine Meinung
Der Roman beginnt im März 1989 mit der Schlüsselszene im Leben der Familie Quinn. Zwei bewaffnete, vermummte Männer dringen in das Haus des Rechtsanwalts Rusty Quinn ein. Sie wollen ihn töten, finden aber nur dessen Frau und die beiden Töchter vor. Die 13jährige Charlotte und ihre 15jährige Schwester Samantha müssen mit ansehen, wie ihre Mutter durch die Kugeln einer Schrotflinte aus nächster Nähe regelrecht zerfetzt wird. Es ist eine brutale Szene, die zartbesaitete Gemüter abschrecken mag, die Karin Slaughter jedoch in einer unglaublichen Intensität zu beschreiben vermag. Man fiebert von der ersten Seite an mit, und das zieht sich durch das gesamte Buch durch.
Wenn ich über Die gute Tochter schreibe, muss ich aufpassen, nicht zu viel zu verraten, weil in den Plot mehrere Überraschungen eingewoben sind, die ich so nicht habe kommen sehen – zumindest nicht alle.
Im Mittelpunkt des Thrillers steht Charlotte Quinn, und der Großteil der Handlung spielt 28 Jahre später, als Charlie bereits eine erfolgreiche Anwältin ist. Ihr Büro befindet sich im selben Gebäude wie das ihres Vaters, der immer noch die brutalsten Verbrecher der Stadt vor Gericht verteidigt. Er ist der Ansicht, dass das Gesetz für alle gleich ist. Es gelingt ihm nicht selten, solche „Verbrecher“ freizubekommen, auch wenn sie schuldig sind, und das macht ihn zum verhasstesten Menschen der Stadt.
Als Charlotte Quinn (Charlie) an einem Morgen des Jahres 2007 in ihre ehemalige Highschool geht, ist sie aus verschiedenen Gründen mies drauf. Ihr Mann und sie leben seit neun Monaten getrennt, und am Abend zuvor hat sie sich zum ersten Mal auf einen One-Night-Stand eingelassen. Obwohl sie ihn bereut, muss sie sich noch einmal mit ihrem „Liebhaber“ treffen, weil sie ihr Handy bei ihm vergessen hat. Er ist Lehrer, weshalb sie sich in der Schule treffen. Sie befindet sich gerade mit dem Mann in dessen Klassenzimmer, als sie Schüsse hören. Charlie ist als erste am Ort des Geschehens, und sie sieht eine Schülerin mit einer Waffe in der Hand. Kurz darauf sind zwei Menschen tot.
Rusty Quinn will die Verteidigung der 18jährigen Schülerin übernehmen, der in Georgia die Todesstrafe droht. Wer glaubt, es käme zu einem klassischen Gerichtsthriller, in dem der Anwalt eigene Recherchen anstellt und vor Gericht darlegt, dass alles ganz anders war, der irrt – zum großen Teil.
In dem Buch geht es natürlich auch darum, aber es geht vor allem um die Familie Quinn, die immer noch von dem Trauma beherrscht wird, das vor 28 Jahren stattfand. Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem man den traumatisierten Personen so nah gekommen ist. Slaughter beschreibt die meist wenig hilfreichen Muster und Verhaltensweisen, wie sie damit umgehen: Muster und Verhaltensweisen. mit denen sie sich und andere verletzen. Das alles ist ungemein menschlich beschrieben, und es hat mich an vielen Stellen tief berührt. Für mich ist der Roman im Kern ein Buch über Menschen, die einander lieben und sich dennoch permanent verletzen und die sich dadurch schuldig fühlen.
Auch andere Themen spielen eine Rolle: zum Beispiel die Frage nach der Todesstrafe und wie ein Anwalt zu beurteilen ist, der Mörder und Vergewaltiger verteidigt. Aber meiner Meinung nach spielen sie eine untergeordnete Rolle.
Fazit
Karin Slaughter sieht ihren Figuren bis auf den Grund der Seele, und sie bringt ihre tiefsten Motivationen und Abgründe zum Vorschein. Ihr gelingt ein bewegendes Buch über die tiefe Bindung zwischen Familienmitgliedern und die Kraft der Liebe, die auch Abgründe überwinden kann.