Klappentext
Eingesperrt, ohne Erinnerung, erwacht Manuel in einem weißen Raum. Er weiß weder, wer er ist, noch, wie er hierher kam. Sein einziger Kontakt ist eine computergenerierte Stimme namens Alice, durch die er Zugriff auf das Internet hat. Stück für Stück erschließt sich Manuel online, was mit ihm passiert ist: Bei einem Entführungsversucht wurde er lebensgefährlich verletzt. Doch wie konnte er diesen Anschlag überleben? Ist das alles tatsächlich die Wahrheit? Und wer ist Manuel wirklich?
Meine Meinung
Dieses 280 Seiten dünne Buch enthält eine Menge Stoff, über den es sich nachzudenken lohnt. Es wurde nicht von ungefähr für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In diesem Roman geht es vordergründig darum, wie sich der fünfzehnjährige Manuel aus seiner fürchterlichen Zwangslage befreien kann. Er befindet sich in einer virtuellen Welt, und das Thema „künstliche Intelligenz“ spielt offensichtlich eine Rolle, wenn er “Spielfiguren“ begegnet, mit denen er sich wie mit einem normalen Menschen unterhalten kann. Das Buch stellt nicht nur die Frage, wie gefährlich KI für die Menschheit werden kann, sondern auch, was im Kern einen Menschen ausmacht. Doch der Reihe nach.
Das Genre „Jugendroman“ ist für diesen Roman absolut zweitrangig, weil sich die Handlung nicht wesentlich verändern würde, wenn der Protagonist dreißig Jahre alt wäre. Im Kern ist es ein Cyber-Thriller, in dem es im Laufe der Handlung unter anderem zu einer realen Verfolgungsjagd kommt.
Die Ausgangslage nimmt uns für den Ich-Erzähler Manuel ein, denn er wacht ohne Erinnerung in einem weißen, leeren Raum auf. Seine einzige Ansprechpartnerin ist eine Computerstimme namens Alice, über die er Zugriff auf das Internet bekommt. Er findet heraus, dass er der Sohn von Henning Jaspers ist, einem Milliardär, der sein Vermögen mit Computerspielen verdient. Bei dem Versuch, Manuel zu entführen, wurde seine Mutter getötet und er selbst so schwer verletzt, dass er sich niemals mehr wird bewegen können. Einen kleinen Kritikpunkt will ich an dieser Stelle anmerken, weil ich mich selbst darüber wunderte, dass meine Identifikation nicht so hoch war, wie ich es vermutet hätte. Manuels Verzweiflung hätte vielleicht noch stärker herausgearbeitet werden können.
Aus diesem Grund hat sein reicher Vater für Manuel eine Simulationswelt programmieren lassen, in der er sich frei bewegen kann, denn sein Sohn soll ein erfülltes Leben fürhen. Aber ist das wirklich so? – Manuel hat sein Gedächtnis verloren. Woher soll er wissen, dass sein Vater ihm die Wahrheit sagt?
Schon in den ersten Kapiteln webt der Autor diese Frage in die Handlung ein. Es ist eine philosophische Frage, die für Manuel existenziell ist. Der Spruch von René Descartes‘ „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“ wird während des gesamten Romans eine zentrale Rolle für die Handlung spielen. Manuel hat das Gefühl, Henning Jaspers verberge wichtige Tatbestände vor ihm. Außerdem gibt es Ungereimtheiten in der Geschichte, die sein Vater ihm erzählt hat. Manuel entdeckt sie, als er mithilfe einer Drohne Kontakt zur Außenwelt aufnimmt und seine Schwester Julia kennenlernt, die es nach den Äußerungen seines Vaters gar nicht gibt.
Manuel ist sich von Anfang an der Tatsache bewusst, dass er schon deshalb niemandem trauen kann, weil er nicht sicher sein kann, was man ihm als Wahrheit verkaufen will und was tatsächlich die Wahrheit ist. In diesem Zusammenhang spielt nicht nur Descartes „Cogito ergo sum“ eine Rolle, sondern auch die Geschichte von Alice im Wunderland, mittels derer seine Schwester und ihre Helfer den Kontakt zu Manuel halten, nachdem sein Vater dies unterbunden hat. Ein guter Teil der Spannung resultiert daraus, dass wir ausschließlich aus der Perspektive des Ich-Erzählers Manuel erfahren, was passiert. Wir sind genau so unsicher, was wahr ist und was nicht, und wir verstehen, warum Manuel unbedingt alles über sich zu erfahren möchte und dabei so zielorientiert vorgeht.
Um nicht zu spoilern, darf ich über den Schluss nicht viel erzählen, aber so viel sei gesagt. In den letzten vier Kapiteln wird deutlich, dass es sich bei „Boy in a white room“ nicht nur um Manuels persönliches Schicksal geht, sondern um weitaus mehr. Es werden Fragen angeschnitten, die für die Menschheit als Ganzes wichtig sind, und der Autor verknüpft dies wunderbar mit Fragen wie den folgenden: Wann ist jemand intelligent? Was macht einen Menschen aus?
Warum ich dem Buch trotzdem nicht die maximale Punktzahl gebe, liegt am Schluss, der neben den vielen guten Aspekten eben doch eine Menge Ungereimtheiten und recht willkürlicher Annahmen enthält. Trotz dieser Defizite gebe ich „“Boy in a white room eine absolute Leseempfehlung.
Fazit
„Wer bin ich?“ wird in diesem spannenden Thriller für den Protagonisten Manuel zur Leitfrage bei seiner Suche nach einem Ausweg aus seiner verzweifelten Situation. Es ist ein Roman, der nicht nur Computer affine Menschen interessieren dürfte, sondern gerade jene, die den Technologien mit Vorbehalten gegenübertreten