Klappentext
Olive Martin ist im Zuchthaus für ihre Tobsuchtsanfälle bekannt und auch dafür, dass sie ununterbrochen Figuren knetet und mit langen Nadeln spickt. Sie wurde verurteilt, weil sie sich schuldig bekannte, Mutter und Schwester brutal ermordet zu haben. Auf Druck ihres Verlegers sucht die Londoner Journalistin Rosalind Leigh die Inhaftierte auf und ist von der Persönlichkeit der „Bildhauerin“ auf merkwürdige Weise fasziniert. Irritierend auf sie wirkt, dass Olive immer wieder ihre Schuld beteuert und doch zu lügen scheint. Rosalind recherchiert und stößt auf manche Ungereimtheit, auch im Hinblick auf die Ermittlungen der Polizei.
Meine Meinung
„Es war unmöglich, sie ohne einen Schauer des Abscheus näher kommen zu sehen.“ Mit diesem Satz beginnt Die Bildhauerin von Minette Walters, und die darauf folgende Beschreibung lässt keinen Zweifel daran zu, dass Olive Martin keine sympathische Person ist. Die Journalistin Rosalind Leigh, genannt Roz, soll nach fünf Jahren die Hintergründe des Verbrechens ausleuchten. Das tut sie nicht freiwillig. Ihr Chefredakteur zwingt sie dazu und gibt ihr mit dieser Aufgabe eine letzte Chance, bevor er sie rauswirft.
Dieser Thriller lebt von seinen ungewöhnlichen Charakteren, was erfreulicherweise auch für die Nebenfiguren gilt: sei es der alte Nachbar, der sich freut, der jungen Journalistin von von Olive Martin zu erzählen, sei es der eingebildete Pflichtanwalt, den Olive Martin ablehnt oder das Ehepaar, das in der Nachbarschaft wohnte und wegzog; die Frau ist inzwischen dement. Zu erwähnen ist auch Rosalinds Kollegin Iris, die zwar völlig unsensibel ist, Roz aber auf jede erdenkliche Weise unterstützt.
Die Hauptfiguren dieses Thrillers befinden sich durchweg in extrem schwierigen Lebenssituationen und kämpfen mit ihren inneren Dämonen. Das gilt nicht nur für Olive Martin. Es gilt vor allem für Roz, von der wir aber erst nach und nach erfahren, wieso sie so depressiv ist. Die Beschäftigung Olive Martin führt sie wieder etwas ins Leben zurück. Einmal, weil die Gefangene, die gebildet und scharfsinnig ist, sie fasziniert. Aber auch, weil sie Ungereimtheiten entdeckt, die sie an Olives Geständnis zweifeln lassen. Damit stößt sie weder bei der Polizei, noch bei Olives Anwalt noch bei irgendwem sonst auf Verständnis, was sie umso hartnäckiger an ihrer Vermutung festhalten lässt.
Auch die dritte Hauptfigur hat schwer zu kämpfen. Hal Hawksley war vor fünf Jahren Sergeant und untersuchte den Fall „Martin“ mit. Inzwischen hat er den Polizeidienst verlassen und ein Restaurant eröffnet, in dem Roz aber nie Gäste sieht. Liegt es daran, dass das vergitterte Restaurant so wenig einladend wirkt? Oder an seinem Besitzer, der bei ihrer ersten Begegnung aussieht, als käme er von einer Schlägerei. Während ihrer Untersuchungen im Fall „Olive Martin“ entwickelt sich zwischen Roz und Hal eine Hass-Liebe, und wir erfahren, wie sie in ihre schwierigen Lagen gekommen sind.
Für mich waren die Charaktere und Motivationen aller Figuren nachvollziehbar. Das betrifft vor allem Roz und Hal. Das liegt sicher auch an den wunderbaren Dialogen, in denen die Figuren scharf und pointiert hervortreten. In ihnen blitzt trotz der teilweise schweren Themen viel Humor oder Galgenhumor auf.
Die Lösung des Falls darf ich hier natürlich nicht verraten und auch nicht die ungewöhnlichen Wendungen, denen ich ihnen mit größtem Vergnügen gefolgt bin.
Fazit
Ein spannender, gut geschriebener Thriller, dessen traumatisierte, kämpferische Heldin zum Schluss bekommt, was sie sich wünscht. Ich habe zu jedem Zeitpunkt zu ihr gehalten.