Worum es geht
Los Angeles im Jahr 1939. Der sterbenskranke General Sternwood ist steinalt und steinreich. Er hat zwei Töchter, die jede auf ihre Weise extrem schwierig sind. Privatdetektiv Philipp Marlowe soll sich um einen Schuldschein kümmern, der die Unterschrift der jüngeren Tochter trägt, doch was zunächst wie Erpressung aussieht, entpuppt sich bald als komplexer Mordfall mit vielen Wendungen.
Meine Meinung
Einen Klassiker in einem Buchblog zu besprechen, ist ungewöhnlich. Ich tue es trotzdem, weil ich ein absoluter Fan der Philipp Marlowe-Reihe von Raymond Chandler bin, die mit „Der große Schlaf“ beginnt. Das Buch erschien im Jahr 1939 und wurde mit Humphrey Bogart verfilmt, der dem Privatdetektiv bis heute sein Gesicht verleiht. Die gesamte Marlowe-Reihe setzte damals Maßstäbe, die bis in die heutige Zeit wirken.
Dabei könnte man aus heutiger Sicht im Hinblick auf Gendersprache eine Menge Argumente gegen die Reihe ins Feld führen. Diese ist der Zeit (USA in er Zeit des 2. Weltkriegs) geschuldet, aber auch der Hauptfigur und dessen lakonisch-realistischem Blick auf die Welt. Dieser zeigt sich durchgängig. Zum Beispiel zu Beginn des Romans, wo Marlowe das Haus von General Sternwood beschreibt.
Es war gegen elf Uhr morgens, Mitte Oktober, ein Tag ohne Sonne und mit klarer Sicht auf die Vorberge, was klatschkalten Regen verhieß. Ich trug meinen kobaltblauen Anzug mit dunkelblauem Hemd, Schlips und Brusttaschentuch, schwarze Sportschuhe und schwarze Wollsocken mit dunkelblauem Muster. Ich war scharf rasiert, sauber und nüchtern – egal nun, ob’s einer merkte. Ich war haargenau das Bild vom gutgekleideten Privatdetektiv. Ich wurde von vier Millionen Dollar erwartet.
Die Haupthalle des Sternwoodschen Hauses war zwei Stockwerke hoch. Über den Türflügeln, die eine Herde indischer Elefanten durchgelassen hätten, war auf einem breiten bunten Glasfenster ein Ritter in dunklem Harnisch bei der Errettung einer Dame zu sehen, die an einen Baum gefesselt war und praktischerweise nichts weiter trug als eine Menge langes Haar. Der Ritter hatte kontaktfreudig sein Visier hochgeklappt und fummelte an den Stricken herum, mit denen die Dame an den Baum gezurrt war. …
An der Ostseite der Halle führte eine fliesenbelegte Freitreppe hinauf zu einer Galerie mit schmiedeeisernem Geländer und einem weiteren Prachtstück bunter Glasfensterherrlichkeit. An den freien Wänden standen überall große, harte Stühle mit runden, roten Plüschsitzen. Sie sahen nicht so aus, als ob schon je einer draufgesessen hätte.
Mit dieser Beschreibung erfahren wir auch, wer dieser 33-jährige Privatdetektiv Philip Marlowe ist, der ein schäbiges kleines Büro in Los Angeles hat, sich deshalb aber keineswegs schäbig fühlt.
Im weiteren Verlauf der Geschichte wird sich Marlowe vor allem mit der älteren Tochter des Generals auseinandersetzen, die spielsüchtig zu sein scheint und mit einem seit kurzem verschollenen Schnapsschmuggler verheiratet ist. Die jüngere lernt der Detektiv im ersten Kapitel in der Eingangshalle kennen, bevor er zum General geführt wird. Hier sind Auszüge ihrer Begegnung:
Sie war an die zwanzig, klein und schnuckelig ziseliert, sah aber ganz so aus, als ob sie einen verkraften könnte. …
»Sie sind aber groß«, sagte sie.
»Ich hab´s mir nicht ausgesucht.«
Ihre Augen kullerten. Sie war verdutzt. Sie dachte nach. Ich merkte schon nach dieser kurzen Bekanntschaft, dass sie mit dem Denken ihre liebe Not hatte.
»Und gut sehen Sie aus«, sagte sie. »Und ich wette, Sie wissen’s auch.«
Ich knurrte.
»Wie heißen Sie?«
»Reilly«, sagte ich. »Dobermann Reilly.«
»Das ist aber ein ulkiger Name.« Sie biss sich auf die Lippe und wandte etwas den Kopf und beäugte mich von der Seite. Dann senkte sie die Wimpern, bis sie ihr fast die Wangen streichelten, und hob sie langsam wieder auf wie einen Theatervorhang. … Es sollte wohl bewirken, dass ich mich auf den Rücken wälzte und alle viere von mir streckte.
Carmen, so heißt die junge Frau, entpuppt sich als Nymphomanin, die sich Marlowe noch ein weiteres Mal an den Hals werfen wird. Dieser lehnt das Angebot ab, weil ihm klar ist, dass Carmen krank ist und dringend Hilfe bedarf. Im weiteren Verlauf der Handlung spielt der Schuldschein keine Rolle mehr, weil mehrere Menschen ermordet werden. Offensichtlich geht es um viel, denn Marlowe erhält von einigen Seiten lukrative Angebote, den Fall nicht weiterzuverfolgen. Für ihn kommt das nicht in Frage, weil er nur vordergründig der Prototyp des „hardboiled Detectives“ ist. Hinter seiner rauen Fassade versteckt sich ein feinfühliges Herz und der Wunsch nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Marlowe hat einen Codex, nach dem er lebt, und dieser beinhaltet, sich in der harten Welt des Los Angeles der 30er und 40er Jahre nicht korrumpieren zu lassen.
Auf knapp 200 Seiten nimmt die Handlung einige unerwartete Wendungen, und es bleibt bis zum Schluss offen, wer der Mörder ist.
Erwähnen will ich noch Chandlers brillante Dialogführung, die ich auch in „Der große Schlaf“ sehr genossen habe.
Fazit
Nicht nur LeserInnen von „Hardboiled Detective“-Romanen werden diesen Roman lieben. Er lebt von dem lakonischen Realismus seiner Hauptfigur, den brillanten Dialogen und dem wendungsreichen Plot trägt. Ich gebe dem Buch eine 100-prozentige Leseempfehlung.