Stefan Heiligtag

Susann Pàsztor – Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Eine berührende Geschichte über eine eigensinnige, dem Tod geweihte Kranke, ihren unsicheren Sterbebegleiter und dessen 13jährigen Sohn!

Klappentext

Wie begegnet man einer Frau, die höchstens noch ein halbes Jahr zu leben hat? Fred glaubt es zu wissen. Er ist alleinerziehender Vater und hat sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden lassen, um seinem Leben mehr Sinn zu geben. Aber Karla, stark, spröde und eigensinnig, arrangiert sich schon selbst mit ihrem bevorstehenden Tod und möchte nur etwas menschliche Nähe – zu ihren Bedingungen.
Als Freds Versuch, sie mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen, grandios scheitert, ist es nur noch Phil, sein 13-jähriger Sohn, der Karla besuchen darf, um ihre Konzertfotos zu archivieren. Dann trifft Hausmeister Klaffki in einer kritischen Situation die richtige Entscheidung – und verhilft Fred zu einer zweiten Chance.

Susann Pásztor erzählt in ihrem dritten Roman eine berührende Geschichte über die erstaunliche Entwicklung einer Vater-Sohn-Beziehung – unpathetisch und humorvoll, einfühlsam und mit sicherem Gespür für menschliche Gefühlslagen.

 Meine Meinung

Abgesehen vom Titel hat mir dieses Buch von Susann Pàsztor gut gefallen. Es behandelt ein schweres Thema, das die Autorin erstaunlich leicht und einfühlsam erzählt. Im Zentrum steht die 60jährige Karla, die unheilbar an der Bauchspeicheldrüse erkrankt ist und höchsten noch ein halbes Jahr zu leben hat. Ihr zu helfen, würdevoll zu sterben ist das Ziel des Sterbebegleiter-Neulings Fred. Dieser ist übergewichtig, unsportlich und unsicher und kommt mit den besten Absichten zu Karla. In einer einjährigen Ausbildung hat er gelernt, worauf es ankommt. Doch was bedeutet es, würdevoll zu sterben, wenn die Person, um die ich mich kümmern will, so eigene Vorstellungen davon hat? 

Bei ihrer ersten Begegnung versucht Fred, das Eis zwischen der schweigsamen Karla und ihm zu brechen, indem er sie nach ihrem Leben in Spanien und die Bildern an ihrer Wand ausfragt. Karla reagiert darauf wie folgt:

»Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie bitte mit dieser Scheißkonversation auf.« Sie sagte es nicht unfreundlich, aber bestimmt.

Fred erstarrte mit hochrotem Kopf. Ein Fehler, er hatte jetzt schon einen Fehler gemacht. Was wollte sie? Wollte sie über den Tod reden? Über ihre Krankheit?

»Entschuldigen Sie«, sagte er. Er wagte es nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Stattdessen richtete er seinen Blick auf den Boden und entdeckte, dass Karla barfuß war. Warum ihn der Anblick ihrer bloßen Füße so erschütterte, konnte er sich nicht erklären.

»Herr Wiener?«, fragte Karla und wartete geduldig, bis er wieder zu ihr aufblickte. »Darf ich Sie fragen, warum Sie das machen? Was bringt Sie dazu, fremde Leute zu besuchen, die bald sterben werden?«

Fred hat sich tatsächlich sehr mit dieser Frage auseinandergesetzt und gibt Karla eine Antwort. Zudem hat er die Vorstellung, ihr dazu zu verhelfen, eine Löffelliste abzuarbeiten, doch diesen Zahn zieht Karla ihm schon bei dieser ersten Begegnung:

»Mein Arzt sagte mir, dass es geschulte Leute sind, denen man sich mit seiner Krankheit zumuten kann.«

»So ist es«, sagte Fred und stellte seine Tasche behutsam auf dem Boden ab.

»Ich möchte keine Zeit mit Gesprächen verlieren, die mich langweilen. Gespräche über meine Bilder langweilen mich.  Tut mir leid, wenn ich Sie vorhin verschreckt habe.« …

»Was würden Sie den gerne tun mit der Zeit, die Ihnen noch bleibt?« Endlich konnte er eine sinnvolle Frage stellen, die sei beide weiterbringen und ihr Gespräch in ruhigere, positive Bahnen lenken würde.

»Ist das ihr Unterhaltungsprogramm für Sterbende, Herr Wiener? … Ich setze eine Liste mit meinen Wünschen auf, die wir zusammen abarbeiten? Ein letztes Mal ans Meer? Noch einen Film für die Nachwelt drehen? Ich war noch nie in einem Sexshop, oder so?«

»Warum nicht«, sagte er vorsichtig.

»Dann sind Sie sehr romantisch, Herr Wiener. Wenn ich Listen schreibe, dann sind es welche, auf denen steht, welche Todesarten mir noch weniger gefallen als die, an der ich sterben werde. Ich schreibe Listen mit meinen gebrochenen Versprechen und all den Dingen, an die ich nie geglaubt habe. Ich schreibe eigentlich nur noch Listen. Für alles andere fehlen mir die Worte.«

Eine konfliktgeladene Konstellation zwischen den beiden Hauptfiguren Karla und Fred. Es gibt noch eine dritte Hauptperspektivfigur: Freds Sohn Phil. Karla und Phil harmonieren deutlich besser. Freds dreizehnjähriger Sohn spricht wenig. Er ist klein und schüchtern und schreibt Gedichte, die er niemandem zeigt. Phil soll für Karla die vielen tausend Fotos in einen Computer einzuscannen, die sie in ihrem Leben gemacht hat und verbringt ganze Nachmittage mit dieser Tätigkeit schweigend in Karlas Küche. In den kurzen Gesprächen lernen sie einander kennen und respektieren.

Dass Karlas Perspektive sich nur in Form von Listen zeigt, die sie für sich aufschreibt, ist ein geschickter Kunstgriff der Autorin. Da wir nie direkt an ihren Gedanken teilhaben, zwingt es es nicht nur die Figuren in der Geschichte, sondern auch uns Leser dazu, uns noch mehr in sie einzufühlen.  

Ein kleines Manko des Romans sehe ich darin, dass ich einige Verhaltensweisen bei Karla, Fred und Phil nicht verstanden habe. Die Nebenfiguren sind liebevoll gestaltet, wurden mir aber einen Tacken zu idealtypisch dargestellt: zum Beispiel der emotionale, hilfsbereite Nachbar Klaffki und Ronja, die 28jährige Nachbarin, die sich rührend und uneigennützig um Karla kümmert.

Zur Handlung will ich nur so viel sagen, dass es einen Spannungsbogen gibt. Im Laufe der Geschichte macht vor allem Fred eine glaubhafte Entwicklung durch, die für ihn selbst, Klara und Phil gute Auswirkungen hat.  

Fazit

Ein gut geschriebenes Buch, das uns auf unaufdringliche Weise mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert und damit, was es bedeutet, würdevoll zu sterben.

                                5 von 7 Punkte.

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