Stefan Heiligtag

Tana French – Geheimer Ort

Sprachgewaltig, poetisch und berührend!

Klappentext

Anmutig, behütet und golden, so scheint die abgeschirmte Welt des traditionsreichen Mädcheninternats St. Kilda. Doch vor einem Jahr ist dort im Park ein Junge erschlagen worden. Nun hängt sein Bild am Schwarzen Brett mit der Überschrift: ICH WEISS, WER IHN GETÖTET HAT. Nur eines von acht Mädchen kann die Karte aufgehängt haben. In zwei Cliquen stehen sie sich gegenüber unverbrüchliche Freundinnen, erbarmungslose Feindinnen. Der junge Detective Stephen Moran kennt eines der Mädchen, Holly Mackey, aus einem früheren Fall und meint zu wissen, was auf dem Spiel steht. Bis er hinter den Mauern von St. Kilda selbst in das verfängliche Netz aus Träumen und Lügen gerät.

Meine Meinung

Geheimer Ort ist der fünfte Kriminalroman, den Tara French im Umfeld der Mordkommission von Dublin geschrieben hat. Jeder dieser Romane ist aus der Ich-Perspektive eines Detektivs geschrieben. Auch wenn die Bücher nicht aufeinander aufbauen, sind sie insofern miteinander verwoben, als wir ab und an Personen aus früheren Bänden begegnen. So auch hier, als wir erneut Holly und ihrem Vater begegnen, nur dass Holly nicht mehr neun, sondern sechzehn Jahre alt ist. Sie ist es, die die Handlung ins Rollen bringt, indem sie Detective Stephen Moran aufsucht.

95 Prozent der Handlung des Romans spielen in dem traditionellen Mädcheninternat St. Kilda. Etikette und gutes Benehmen spielen dort eine große Rolle und doch wurde dort vor einem Jahr im Park ein Junge erschlagen. Der Mord wurde nicht aufgeklärt. Nun bringt Holly Stephen Moran einen neuen Hinweis ins Büro. Er und seine Chefin haben einen Tag Zeit, um den Mörder oder die Mörderin doch noch zu finden. Es ist Mai, und es wird ein langer Tag werden.

In diesem Buch begegnen wir einer Besonderheit, denn die Handlung wird nicht durchgängig aus der Perspektive des Detekivs geschildert, sondern wechselt kapitelweise mit der Perspektive von vier Internatsschülerinnen. Diese Konstruktion ermöglicht es Tana French, die komplexen Zusammenhänge, die zu dem Mord führten, aus der Perspektive der Hauptverdächtigen zu schildern, was viele lästige Rückblenden vermeidet und uns wie von selbst in die Internatswelt von Holly und ihren engsten Freundinnen Becca, Julia und Selena einführt. Wir lernen die strengen Schulregeln kennen und wie sie (teilweise) unterlaufen werden können. Und wir erfahren, warum sich die vier Mädchen zu einer derart engen Clique zusammentun. Tana French gelingt es, in einer teilweise poetischen Sprache die Träume der fünfzehnjährigen Mädchen erfahrbar zu machen, und wir lernen ihre Zickenkriege mit anderen Cliquen kennen. OmeinGott und LoL sind häufig vorkommende Ausrufe bei den kleinen Dramen, die detailreich beschrieben werden. Natürlich kann man das als Erwachsener belächeln, aber es sind pubertierende Mädchen, die ich authentisch und einfühlsam beschrieben fand und die sehr unterschiedlich sind. Wir lernen sie vor allem in der Auseinandersetzung mit einer rivalisierenden, ebenfalls vier Mädchen zählenden, Clique kennen. Diese acht Mädchen werden im Laufe des Romans von den beiden Detektiven befragt, und es schält sich heraus, dass sich unter ihnen wohl die Täterin befindet.

Wir erleben auch in diesem Kriminalroman Tana Frenchs Stärke (oder Schwäche, je nach Geschmack) für lange Dialoge. Die kommen in diesem 700seitigen Buch umso deutlicher zum Tragen, als acht Personen befragt werden müssen, teilweise mehrfach. Manche LeserIn mag das langweilen, ich mochte es aus zwei Gründen: einmal, weil solche Befragungen in der Praxis vermutlich noch länger sind und damit realistischer. Und zweitens, weil mir die Intention der Fragen und die jeweiligen Manöver, sie ehrlich zu beantworten oder ihnen auszuweichen stets klar gewesen sind. Dabei hilft es uns Lesern, dass wir die Absichten der Mädchen teilweise aus den Kapiteln kennen, die aus ihrer Sicht beschrieben wurden. Tana French lässt die Handlungsstränge so geschickt ineinanderfließen, dass wir die Brisanz der Fragen gut nachvollziehen können. Trotzdem bleibt bis zum Schluss offen, wer den Mord begangen hat.

Schön finde ich auch, wie das Ermittlerteam im Laufe der Handlung immer mehr zu einem Team zusammenwächst. Detective Moran ist schon deshalb hochmotiviert, weil er in der Lösung des Mordfalls eine Chance sieht, in die Mordkommission übernommen zu werden. Seine raubeinige Chefin Conway ist zunächst von seiner Hilfe wenig begeistert, weiß diese aber bald zu schätzen.

Im Laufe des Buches verfolgen wir mit, wie es zum Mord kam und warum er begangen wurde. Man möchte die Mädchen oft schütteln, wenn sie tun, was sie tun. Dennoch sind für sie eingenommen, weil sie aus Liebe und Loyalität handeln. Für mich war die Auflösung schlüssig, weil sie sich aus den Charakteren der Mädchen ergab.

Fazit

Mit ihrer präzisen und zugleich poetischen Sprache entführt uns Tana French in die Welt von acht pubertierenden Mädchen, die einander ewige Treue schwören und sich gegen den Rest der Welt zusammenschließen – und die tragischen Folgen, die sich daraus ergeben. Ein bewegender Kriminalroman.

                                                        6 von 7

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