Klappentext
Der Dreizehnjährige, der auf die Waage stieg und sich um den Verstand verliebte
„Mit vier Jahren brach ich mir zum ersten Mal das Bein. Mein großer Bruder hatte zusammen mit seinen noch größeren Freunden und deren noch größeren Brüdern eine Sprungschanze gebaut. Eine Schanze baute man, indem man eine Schaufel organisierte und Schnee auf einen Haufen schaufelte. Dann trampelte man darauf herum. Dann fuhr der Beste los und sprang am weitesten. Nach ihm der Zweitbeste am zweitweitesten. Zuletzt mein Bruder. Dann ich.“
Auf diese Weise lernt der junge Mann früh den Vorteil von Unfällen schätzen: Trostschokolade. Und er lernt den Nachteil von Trostschokolade kennen: Übergewicht.
Mit 13 beginnt er in den Sommerferien eine radikale Abmagerungskur. Weil ihn unvorbereitet dieses zauberhafte Lächeln getroffen hat. Das Gute am Verlieben: Die Elsa. Das Problem am Verlieben: Ihr Ehemann. Der Lastwagenfahrer Tscho.
Meine Meinung
Wolf Haas entführt uns mit diesem lakonisch geschriebenen, urkomischen Coming of Age-Roman ins Österreich der 70er Jahre und in die Zeit der Ölpreiskrise. Im ersten Sommer arbeitet der namenlose zwölfjährige Ich-Erzähler an einer Tankstelle und trifft dort zum Ende des Sommers die wunderschöne und ebenso freundliche Elsa. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Obwohl Elsa zwanzig Jahre und die Frau vom Tscho ist, beschließt er, um ihr zu gefallen, das Jahr auf dem Internat zu nutzen, um abzunehmen.
Der ›junge Mann‹ ist zwar einen Meter 80 groß, findet aber, dass er mit 93 Kilo definitiv zu schwer ist. Sein Entschluss, fünfzehn Kilo abzunehmen, hat Bestand, als er im Jahr darauf wieder an der Tankstelle arbeitet und Elsa wiedersieht. Niemand ist begeistert von seiner Entscheidung. Am wenigsten seine Mutter, die ihn gar nicht zu dick findet, sondern befürchtet, er könne krank werden, wenn er sich in dieses „unmögliche Unterfangen begibt.“ Der junge Mann weiß es besser, wie Wolf Haas anschaulich beschreibt:
Ich kannte alle Ausreden, die einen am Abnehmen hindern sollten. Wie alle guten Ausreden stimmten sie teilweise. Teilweise war ich zu dick, weil ich mich zu wenig bewegte (1,5 Prozent), teilweise weil ich die Veranlagung dazu hatte (0,5 Prozent), teilweise, weil mein großer Bruder so dünn war (1,2 Prozent), und teilweise, weil es mir so gut schmeckte 96,8 Prozent.
Obwohl er Elsa erst anzusprechen will, wenn er genug abgenommen hat, kann es sich der ›junge Mann‹ nicht verkneifen, auf dem Weg zur Arbeit an ihrem Haus vorbeizufahren, wo er prompt einen Platten bekommt. Elsa lädt ihn ins Haus ein und macht ihm einen Kaffee. Der ›junge Mann‹ versucht, sich möglichst cool zu geben. Nachdem er ein paar Sprüche losgelassen hat, die er auf der Tankstelle gehört hat, überrascht ihn Elsa, während sie ihm den Kaffee in die Tasse schüttet, jedoch mit folgender Frage:
»Hast du schon eine Freundin?«
Mein Gesicht war so heiß, dass mir der Kaffee leidtat, als er sich an meinen Lippen verbrannte. Und nach dem ersten Schluck hallte die Frage noch durch den Raum. Nach dem zweiten Schluck auch noch.
Ich versuchte, so lässig zu grinsen, dass es vielleicht ein bisschen nach ›Ja klar‹ aussah, ohne, dass ich direkt lügen musste.
»Da brauchst du doch nicht rot zu werden«, lächelte sie. »Wie alt bist du?«
»Fast vierzehn.« In meinem ganzen Leben hatte meine Stimme noch nie so hoch geklungen.
»In dem Alter hab ich schon einen Freund gehabt. Da ist nichts dabei.«
»Und wie alt war dein Freund?«
»Fünfzehn, glaub ich.«
Und wie alt war sie jetzt? Ich traute mich nicht zu fragen. Zwanzig, schätzte ich, oder einundzwanzig. Aber ich war schlecht im Schätzen.
»Er war aber nicht so hübsch wie du«, grinste sie blöd.
»Was du nicht sagst.«
Sie schaute mich so prüfend an wie einmal der Doktor meine Röntgenbilder, als meine Knochen falsch zusammengewachsen waren, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als sie mir noch einmal zu brechen.
Dann sagte sie aber nur: »Groß bist du für dein Alter. Fast einen Kopf größer als wie ich.«
Der selbstironische Erzählton des Ich-Erzählers hat mich während des Lesens sehr oft schmunzeln lassen. Der Schreibstil von Wolf Haas macht dieses Buch zu einem Lesegenuss.
Nervig finde ich dabei nur eine Kleinigkeit, die allerdings häufig (auch in dem obigen Auszug) vorkommt: die Unsitte, ein Zitat mit einem », lachte sie« abzuschließen. Die einzige weitere Schwäche des Buches bezieht sich auf das Ende, das nicht ganz mit einer Vorankündigung des Autors übereinstimmt. Beides stört den Lesefluss jedoch nur wenig, weshalb ich sie nicht überbewerten will.
Eine große Stärke des Buches ist die liebevolle Charakterisierung der Nebenfiguren, angefangen bei den Eltern des ›jungen Mannes‹. Seine Mutter hat einige wunderschöne Eigenheiten, von denen eine das Kuchenbacken und das Verschenken derselben ist. Dabei hat sie es im Kreuz bekommen, weshalb der junge Mann allein zu seinem Vater fahren muss, der im ›Irrenhaus‹ lebt. Seine Mutter gibt ihm detaillierte Anweisungen, wie der fast 14-jährige den Kuchen auf der anstehenden Busfahrt zu transportieren hat. Er beschreibt es wie folgt:
Seufzend packte sie einen Jahresvorrat Kuchen für den Vater in die Reisetasche und schärfte mir ein, dass ich die Tasche weder schwenken noch kippen durfte. Auch nicht im Autobus ins Gepäcknetz stellen, sondern wenn möglich neben mich auf den Sitz. Aber aufpassen, dass sich keiner draufsetzt! Bei den Leuten weiß man nie.
Sie hatte die Kuchenstücke so kunstvoll eingepackt, dass sie unmöglich verrutschen konnten. Auch gegenseitiges Erdrücken hatte sie durch wohlüberlegte Stapeltechnik ausgeschlossen. Nach einem apokalyptischen Erdbeben wäre das einzige nicht eingestürzte Gebäude auf Erden ein von meiner Mutter gepackter Essensstapel. Dass sie das Werk jetzt in meine unzuverlässigen Hände entlassen musste, machte sie nervös. Sie gab mir eine Anleitung, wie ich im Krankenhaus zuerst die Biskuitroulade und dann den ersten Kuchen und dann den zweiten Kuchen und dann den dritten Kuchen aus der Tasche heben musste. An der überstehenden Papierlasche nehmen und so herausheben. Und dann hier hingreifen und so herausheben. Bestimmt wurden Bombenleger weniger genau geschult, damit ihnen die Bombe nicht schon am Hinweg explodierte. Nur gut, dass man Bruder nicht hier war, sonst hätten wir uns angeschaut. Und wenn wir uns in so einer Situation anschauten, mussten wir lachen, und dann war die Katastrophe fertig.
Über den coolen Tscho, der ab Mitte des Romans zur zweitwichtigsten Figur wird, will ich nur sagen, dass er so plastisch rüberkommt, als stünde er vor einem. Mit ihm zusammen entwickelt sich eine Romanhandlung, die wohl niemand außer dem Autor vorausgesehen hat und über die ich an dieser Stelle schweigen werde.
Fazit
Ein unbedingt lesenswerter, witziger Roman über eine unmögliche Liebe und die erstaunliche Entwicklung eines 13jährigen. Ein Roman für Jugendliche, Heranwachsende und vor allem für Erwachsene.